16.5.2006
Im Reich der
Männerphantasien
Ein Versuch, Schikaneders Libretto der Zauberflöte
ernst zu nehmen
Anlaß: Die Inszenierung der Hanns-Eissler-Hochschule
für Musik am 8.5.2006
An Lobreden auf das Libretto ist kein Mangel, kraftvoll
etwa im Nachwort der Reclam - Ausgabe, dort auch mit kleinen jedenfalls nicht
kritischen Zitaten aus Mozart - Briefen unterfüttert. Also sehen wir es uns
einmal an.
Szene:
Ein Land bestehend aus zwei recht nahe
beieinandergelegenen Schlössern, dem der Sternflammenden Königin in den Bergen
und dem des Sarastro im Tal. Über ersteres ist nichts Näheres mitgeteilt; zu
ihm gehört eine Zypressenhain mit Wiese (aus dem Pamina geraubt wird).
Sarrastros Schloß gilt als stark befestig und gut bewacht. Zu ihm gehören ein
Palmenwald, Kanäle und eine Anlage mit drei Tempeln (Natur/Weisheit/Vernunft).
Königin und Sarrastro sind in gewissem Umfang
zaubermächtig. Sie hören und erteilen Weisung auf große Entfernung, beschwören
bisweilen das Wetter, Feuer und Erdbeben, die Königin verfügt mit Zauberflöte
und Glockenspiel über Instrumente zur Beeinflussung von Menschen, Tieren und
Natur; das starke Instrument des Sarrastro, der "siebenfache
Sonnenkreis", wird in seiner Wirkung nicht näher beschrieben. Sarrastro
soll seine Gestalt beliebig verwandeln können (das findet aber nicht statt),
jedenfalls kann er eine junge Frau als alte Frau erscheinen und auf Stichwort
zurückverwandeln lassen.
Soziale
Situation:
Die Königin regiert als Erbin ihres königlichen Vaters
ein Frauenreich. Nur sie, ihre Tochter, ihre drei Damen und,. als einziger
Dienstbote, der Vogelhändler sind persönlich bekannt; hinzu kommt ein
Frauenchor; der Vogelhändler hat in jahrelangem Dienst weder die Königin noch
ihre Tochter je zu Gesicht bekommen.
Sarrastro regiert eine hierarchisch stark gegliederte
Männergemeinschaft. Drei Knaben entsprechen den Damen der Königin; drei
Priester, ein Sprecher, zwei geharnischte Männer, ein Obersklave, drei
Sklaven. Die Sklavenhaltergesellschaft
ist wie sie ist: Bestraft wir durch Auspeitschen der Fußsohlen oder auch mit
dem Tode, ggf. nach vorheriger Folter. Sarrastro hat aber auch "eine Frau
aufgespart", nämlich für Papageno - unterhält er eine Art Harem?
Die Sarastro - Gemeinschaft huldigt ägyptischen Kulten
("Osiris und Isis"), trägt beleuchtete Pyramiden mit sich herum u.
dgl. mehr, gemischt mit einer Art Weisheitskult.
Beide Schlösser haben eine klösterliche
Grundatmosphäre. Der sexuelle Entzug ist auf beiden Seiten ausgeprägt.
Partnerwahl findet grundsätzlich und erfolgreich per Zuweisung durch die
Autoritäten statt: Tamino bekommt ein Bild und ist begeistert, Pamina erfährt
nur, daß ein Prinz sie liebt und ist hingerissen, Papageno bekommt eine junge
Schöne versprochen, und was man Papagena gesagt hat, damit sie Papageno nimmt,
bleibt völlig dunkel. Abgelehnt wird ausschließlich das Werben des Negers
Monostatos und Pamina, das schon aus Hierarchiegründen abwegig erschient. Für
ihn (wie für die 3 Sklaven) gibt es keine Perspektive.
Handlung:
Ein Prinz verirrt sich bei der Jagd und findet sich
unerwartet in einem Land wieder, von dem er schon viel gehört hat, im Land der
sternflammenden Königin. Deren Damen retten ihm durch Erlegen einer Schlange
das Leben. Er erscheint im Moment einer dramatischen Zuspitzung des Konflikts
Königin - Sarrastro: Sarrastro hat am Vortag ihre Tochter entführt! Sie wirbt
ihn zur Berfreiung des Mädchens ein, stattet ihn mit einem Begleiter (Papageno)
und beide mit nützlichem Gerät (Zauberflöte und Glockenspiel) aus. Aber anstatt
einer präzisen Handlungsanleitung oder auch nur Ortsangabe verweisen die Damen
auf Geleit durch die Knaben.
Jetzt setzt schon die Konfusion ein: Die Knaben stehen
im Dienst des Sarrastro! Und außerdem sind sie erstmal nicht da. Folge: Der tapfere
Tamino entsendet Papageno als Aufklärer in Sarrastros Schloß, und - dieser
dringt ohne jedes Problem zu Pamina vor und unterstützt die Fortsetzung ihres
bereits eingeleiteten Fluchtversuchs. Pech: Sie laufen Sarrastro selber in die
Arme, und an dem versuchen sie das Glockenspiel nicht einmal. Pamina wird in
milden Gewahrsam zurückgebracht, Papageno mit Drohungen und Heiratsaussichten
beschäftigt.
Inzwischen ist Tamino den Knaben doch begegnet. Statt
zu Pamina bringen ihn diese in die Dreitempelarena. Fast mühelos überzeugt ihn
ein alter Priester, daß er Sarrastro nur auf Grund falscher Information hasse.
Obwohl der Priester den Raub der Pamina ausdrücklich bestätigt - Tamino
wechselt das Lager, auch zutiefst gerührt über die Mitteilung (des Chors), daß
Pamina noch lebt. Monostatos geleitet ihn zur Schlußversammlung des ersten Akts
- Sarratro und quasi kompletter Hofstaat, Pamina und die beiden Eindringlinge.
Letztere werden mit Säcken über dem Kopf zu nunmehr angeordneten
Weisheitskultprüfungen hinweggeführt.
Welches Argument hat der Priester, um Tamino von
seiner Mission abzubringen und umzudrehen? Nur ein einziges: "Ein Weib hat
also Dich berückt? Ein Weib tut wenig, plaudert viel. Du, Jüngling, glaubst dem
Zungenspiel?". Ansonsten ist er in keiner Weise sprechfähig, bestätigt
ausdrücklich die gewaltsame Entführung der Pamina, und beruft sich statt
Erläuterung oder Begründung auf ein Schweigegebot. Dieses eine Argument genügt
aber immerhin, um Tamino, der den Damen der Königin sein Leben verdankt und
eben noch ihre entführte Tochter befreien wollte, zum Lagerwechsel zu bewegen -
es scheint also ein starkes, kommunikativ gut verankertes Argument zu sein.
Sarrastro greift das zentrale Motiv auch gegenüber
Pamina auf: "Ein Mann muß eure Herzen leiten, denn ohne ihn pflegt jedes
Weib aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten." Auch der Vater der Königin
hatte das schon drauf, und es führte ihn zu der Entscheidung, mit der das ganze
Desaster begann, nämlich der Abgabe des siebenfachen Sonnenkreises nicht an seine
Tochter, sondern an Sarrastro: "Dein (der Königin) Pflicht ist, Dich und
Deine Tochter der Führung weiser Männer zu überlasen."
Ich spare mir die ausführliche Schilderung der
Prüfungen im 2. Akt, zumal sie von Tumbheit und zugleich, soweit sie zwischenmenschlich
sind, Bosheit geprägt sind (zweimal Schweigegebot zu Lasten der Betroffenen,
einmal Durchschreiten von Wasser und Feuer, möglich nur mit Hilfe der
Zauberflöte, mit dieser Hilfe offenabr nicht schwer).
Spätestens hier muß man aber, um sich nicht nur zu
ärgern, akzeptieren, daß es um anderes geht, nämlich um symbolisch eingeleidete
Grundbotschaften: Ein Mann muß gegenüber einer Frau / den Frauen schweigen
können, auch wenn sie furchtbar leiden bis hin zur Suizidgefahr. Ein Mann muß
seinerseits in äußerster Disziplin tun was ihm gesagt wird, wenn er sich einmal
einem Männerbund angeschlossen hat. Die Erfüllung des Mannes ist eben ein
solcher Männerbund mit kultischer Einkleidung, wobei es auf diese Einkleidung
im Detail nicht wirklich ankommt. Mitten unter den ägyptischen Göttern blitzt
plötzlich auch der eine Gott der Christen auf (2.Akt, 27. Auftritt, die Knaben
zu Pamina: "Selbstmord strafet Gott an Dir"), und niemand stört es,
nicht im Spiel des Stücks und auch nicht in der Rezeption.
Gönnen wir uns noch einen kurzen Blick auf die
"Weisheitslehre" der Sarrastro - Sekte. Über das abgründige
Verhältnis zu Frauen ist eigentlichgenug gesagt. Was bietet die Lehre positiv?
Die Knaben schildern sie mit einem dreifachen Gebot
samt Pointe: "Sei standhaft, duldsam und verschwiegen", "kurz,
sei ein Mann" (Nr.8); der Chor spricht ohne nähere Bestimmung von
"Tugend und Gerechtigkeit" (1. Akt, 19. Auftritt).
Die Priester fragen am Anfang des 2. Akts ab: Tugend?
Verschwiegenheit? Wohltätigkeit? Vor Menschenleben hat die Lehre nicht viel
Respekt - sollte Tamino bei den Prüfungen sterben, dann "wird (er) der
Götter Freuden früher fühlen als wir" (Sarrastro).
Noch unklarer (bis hin zur Grammatik) wird es zunächst
in 2. Akt, 3. Szene: Tamino sucht "Freundschaft und Liebe". Sprecher:
"Bist Du bereit, es mit deinem Leben zu erkämpfen?" Was ist "es"? Lassen wir
"es" dahingestellt, auch Tamino fragt nicht, sondern antwortet
"Ja!". Gesagt werden soll wohl nur, daß es jetzt um die Aufnahme -
Prüfungen für den Kult geht und nicht um einzelne Inhalte; nach diesen wird nur
pro Forma gefragt. Immerhin werden die Essentials nicht ganz vergessen, denn
noch vor der ersten Prüfung erfolgt die explizit zentrale Ermahnung (Nr.11, 2.
Priester und Sprecher): "Bewahret euch vor Weibertücken, Dies ist des
Bundes erste Pflicht."
Der chronologisch letzte Beitrag wird von den beiden
Geharnischten geliefert (sie treten nur ein einziges mal auf, 2. Akt, 28.
Auftritt) - ein Erleuchtungsversprechen, anknüpfend an die vier antiken Elemente,
die den spirituellen Wanderer reinigen und den Mysterien der Isis zugänglich
machen sollen. In völlig unbegreiflicher Wendung wird dann der Kult auch für
eine Frau geöffnet: "Ein Weib, das Nacht und Tod nicht scheut, ist würdig
und wird eingeweiht." Damit kann Pamina den Tamino bei der letzten Prüfung
begleiten.
Während Tamino und Papageno ihre Proben absolvieren,
kulminieren mehrere Nebenhandlungen: Papageno wird mit der Drohung lebenslanger
Haft in die Ehe mit einer häßlichen alten Frau gezwungen (die sich anschließend
als reizvoll entpuppt). Die Knaben halten eine durch den Mordbefehl ihrer
Mutter und den erlebten und von Sarrastro unterstrichenen Verlust ihres
Geliebten ("letztes Lebewohl") dem Wahnsinn nahe Pamina im letzten
Moment vom Selbstmord zurück. Und die Königin und ihre Damen machen einen
letzten, verzeifelten Versuch, ihren Untergang aufzuhalten: Sie dringem
bewaffnet in Sarrastros Schloß ein, um ihn jetzt selbst zu töten. Gescheitert
ist der Versuch der Königin, Pamina retten zu lassen, gescheitert der Versuch,
Pamina den Anschlag vornehmen zu lassen. Jetzt also der letzte Angriff, mit
Unterstützung des Monostatos. Der Angriff scheitert kläglich. Was aus den
Frauen wird? Das Libretto sagt: "Sie versinken".
Pamina hat zwar kurz vorher den Tamino wiedergefunden
und mit ihm im Schutze der Zauberflöte Wasser und Feuer durchschritten, aber
jetzt ihre Mutter verloren. Das ist also die Situation für das Happy End der
Oper.
Bilanz des Chores: "Es siegte die Stärke / Und
krönet zum Lohn / Die Schönheit und Weisheit / mit ewiger Kron."
Na, danke! Aber richtig: Wer kennt schon den Text der
Zauberflöte? Die Oper lebt eben nicht vom Libretto, sondern aus der Farbigkeit.
Bewegung, Tragik und Komik der vielfältigen Einzelbilder und der Lebhaftigkeit und
Vielgestalt der Musik. Die Handlung schwebt nur als Rahmen darüber. Und das
ist, wie wir gesehen haben, erstmal auch gut so. Aber Spaß kann es schon
machen, auch einmal etwas mit dem Text zu spielen, wie es die Hanns - Eisler -
Aufführung ja auch andeutungsweise getan hat.