Zum Libretto des Freischütz, Uraufführung: Berlin 1821
Anlaß:
Aufführung in der Komischen
Oper am 18.7.2006. Ich sah die Inszenierung zum zweiten Mal, zunächst 2000.
Damals gefiel sie mir nicht (ich notierte: Konsequent gegen Text und Musik
gebürstet – nicht falsch, aber, wie ich vorgestern feststellen durfte, doch
recht borniert).
Oh, das ist ein anderes
Libretto als Schikaneders abgeschmackte Zauberflöte!
Friedrich Kind, Rechtsanwalt
und Mitherausgeber der Dresdener Abendzeitung, liefert ein historisches /
historisierendes Drama, an dem man vieles erkennen, lernen und mitempfinden
kann.
Aber
erstmal: Die Figuren
sind fast alle jede für sich ziemlich langweilig.
Ein geistig wie emotional
etwas schlicht gestrickter Jägerbursche Max, maßvoll verliebt (wenn
überhaupt), jedenfalls vor der Hochzeit mit einem ebenfalls sehr jungen,
halbwegs naiven und abergläubischen, aber gut im Erbe stehenden Mädchen namens Agathe.
Seine schlechten Nerven in den Wochen vor dem Großen Ereignis sind so
überraschend eigentlich nicht. Auch an ihr ist nichts besonders auffällig oder
interessant.
Ihr Vater Kuno sitzt
in dritter Generation auf einer Teils zu bedingtem Erbeigentum, teils zu
Nießbrauch überlassenen Försterei – eine spannungsgeladene und im Problemanriß
sehr aktuelle Konstruktion, wie diverse Kommentatoren zu Recht anmerken. Auch
er ist ansonsten ganz gewöhnlich.
Ein wenig mehr Farbe hat Anna,
Agathes Freundin. Sie ist humorvoll, spritzig, tatendurstig und optimistisch –
und komischerweise allein, kein Mann in Sicht. Fast möchte man angesichts des
sonstigen Personals sagen: Kein Wunder, überqualifiziert.
(Eine kleine Epizykle: Die
Frauenszenen zwischen Agathe und Anna zeichnen sich dadurch aus, dass es
nichts zu tun gibt. Die Mädels sitzen herum und schwatzen über dies und das.
Außer dem Auspacken des Hochzeitskranzes – mit einmaligem Erscheinen
zahlreicher Brautjungfern, alle Sopran - passiert in ihren Auftritten gar
nichts. Das ist eigentlich sehr unplausibel. Sie sollten in Organisationsarbeit
ersticken: Der Polterabend, die Hochzeit am nächsten Tag, die Gäste, die
Ablaufplanung... wie es wohl wirken würde, würde man die Inszenierung entsprechend anlegen? )
Bleiben der Fürst,
dieser begnadete Schnellrichter vor dem Herrn, und der so zeitgünstig präsente Klausner.
Ersterer kommt zum Jagdausflug vorbei und nimmt anschließend an der
Hochzeitsfeier teil, zu deren Formular der berühmte Probeschuß gehört. Über den
Probeschuß, dessen Schwierigkeit er frei bestimmen kann, steuert er einmal pro
Generation Weitergabe oder Erledigung des Kuno – Erbes.
Seltsam genug: Versucht es
ein Sohn des Lehnsmanns, ist die Sache jedenfalls für diesen mit einem
Fehlschuß erledigt. Eine Tochter dagegen kann mehrere Kandidaten nacheinander
heranführen, wenn sie bzw. die Familie das will. Wirklich, hübsches Konstrukt.
Damit hat der Fürst seine
Rolle, und das war’s an Charakterisierung dann auch. Der Eremit macht den
versöhnenden Deus ex Machina, eine bemerkenswert sympathische Rollenzuweisung
an einen Kleriker in Zeiten finsterster Reaktion – aber er ist ja auch nicht
Kirchen – Amtsträger, sondern Einsiedel, so wie man Kirche halt gerne hätte,
ach wie hübsch. Eine „persönliche“ Ausgestaltung findet nicht statt (und ist
auch vollständig entbehrlich).
Die mit Abstand
interessanteste Figur ist Kaspar. Er ist alt – er hat im 30jährigen Krieg Magdeburg
(1629) als Soldat mitgemacht, muß also um die 40 sein oder älter. Er ist als einziger
in dieser Dorfgemeinschaft weit herumgekommen, trinkfest, voller Geschichten.
Ihm wird gern und mit viel Schaudern zugehört, gerade weil er oft nicht
„politisch korrekt“ ist. Die schwarzmagische Dimension seiner Geschichten ist
für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts ganz charakteristisch, hier und nicht
etwas im finsteren Mittelalter liegt die große Zeit der Hexenverfolgungen in
Deutschland. Gelegentliche empörte Zurückweisungen durch die üblichen Moralin –
Autoritäten gehören dazu und schaden nicht, im Gegenteil.
Zugleich ist das alles zwar schön schaurig, aber jetzt schon etwas überholt, nach dem Kriegsende 1648 bildet sich das rapide zurück. Der Zusammenstoß im Finale, bei dem Kaspar ja verliert, ist vom Libretto historisch gut angeordnet.
Es ist schade, dass die
Regisseure durchweg nicht merken, wie sehr der Mann farbiger Teil des
Dorflebens ist. Die Saufszene zwischen ihm und Max – sie ist ein fröhliches,
ein feuchtfröhliches Gelage. Nehmen wir doch Maxens Einwendungen („Du wirst
unverschämt“) als passende rhetorische Form - und nicht mehr. Max bleibt am
Tisch, er trinkt ausgiebig mit Kaspar, endlich hat er jemanden gefunden, mit
dem er bzw. der mit ihm über sein Problem redet, es geht beiden in ihrer Art
gut dabei.
Auch diese Szene passt, wenn
man sie nur wach liest und hört, in die absolut dominierende Grundstimmung der
Oper: Gewollte und intensiv gelebte Fröhlichkeit. Es ist eine
Nachkriegsoper. Seit 1815 erst ist der große europäische Krieg vorbei, der
1792 mit dem Angriff der Monarchien auf das revolutionäre Frankreich begonnen
und sich durch Napoleon in einen langen Weltkrieg ausgeweitet hatte. Allen
Gästen der Premiere sitzt das noch im Nacken, die meisten dürften Angehörige in
diesem Krieg verloren haben, sei es in Russland sei es in der Schlußphase im
Befreiungskrieg. Und auf der Bühne wird wann gespielt? Kurz nach dem
Dreißigjährigen Krieg. Eine Stimmung wie meine Eltern sie von 1946/47/48
erzählten: „Wir leben noch!“
Feiern mit selbstgebranntem
Kartoffelschnaps, bei jeder Gelegenheit, ausgelassen, fröhlich, wild, intensiv
– es gab zwar zu wenig zu Essen und riesige Alltagssorgen, aber zugleich eine
berstende Lebens- und Überlebensfreude. Wer will, liest das auch in Kinds Libretto und hört diese
Lebensfreude überall - überall! – in Webers Musik. Kein Wunder, dass die Oper
so eine durchschlagender Erfolg wurde, sie traf genau diese - vielleicht auch
nur latente ? - aktuelle Lebenshaltung !!
Ja und Samiel, die
Höllenhund – Sprechrolle ? Klar, Weber wollte so richtig schwarze Magie und
Teufelei auf der Bühne, das war ihm und Kind bitter ernst. Im Dresden dieser
Jahre war ein gepflegter gutbürgerlicher „die –Natur – ist – voller – finsterer
– Geheimnisse“ – Mystizismus absolut en vogue. Erfreuen wir uns mit etwas
heiterem Abstand. Die Regie macht etwas schickes mit der Wolfschluchtszene:
Die Scharen der Hölle, „oh
weh die wilde Jagd“ - es sind die besoffenen und lärmenden und tobenden Gäste
des Polterabends! Oh ja, das passt so schlecht nicht. Und der Climax
(„sieben!“) ist ein seriöser Mann im dunklen Anzug, der Max einen großen
Spiegel vorhält. Schnitt, Szenenwechsel, nächste Morgen: Er steht vor diesem
Spiegel beim Ankleiden. Gut gemacht!
Aber Samiel?
Charakteristisch für die Zeit nach dem 30jährigen Krieg war u.a. die jahrelange
Mühsal, tatsächlich zum Frieden zu kommen. Die Gebietsübertragungen und
Räumungen, die Bezahlung und Auflösung der unzähligen Söldnertruppenverbände,
das Hineinfinden in die neuen Regeln des Westfälischen Friedens – das war alles
schwer mit Konflikten und z.T. auch Kämpfen beladen, und es dauerte Jahre, bis
die Zeitgenossen sicher waren, dass wenigstens der ganz große Krieg wirklich
vorbei war.
Banden, Gruppen ehemaliger
Soldaten zumeist, gab es ohne Ende. Lesen wir Samiel doch spaßeshalber mal als Chef einer
solchen Bande und Max als Mitglied derselben, ein Mitglied, das nicht mit ihnen
durchs Land streift, sondern es geschafft hat, sich mit Dispens der Gruppe an
einem Ort niederzulassen, von dem aber dennoch Loyalität erwartet wird, und
auch das gelegentliche Einwerben neuer Mitglieder. Klappt ganz gut, gell?
Vor allem aber: Heiterkeit
!!! Feiern !! Fröhlich sein ! Diese Nachkriegsstimmung setzt sich selbst über
Schreckliches hinweg. Auf dem Hochzeitsfest, auf dem scharenweise Jäger mit
ihren Waffen herumlaufen, kommt es zu einem Todesfall durch einen Fehlschuß.
Trotzdem: Die Feier wird nach einer Unterbrechung fortgesetzt, die Trauung und
die Übertragung des Lehens werden vollzogen. Da muß man schon wirklich
stimmungsfest sein.
Ob diese Hochzeit dem
Brautpaar Glück gebracht haben wird, darf bekanntlich jeder für sich
entscheiden.