Reinhard Kaiser                                                              20.7.2006

 

 

 

Zum Libretto des Freischütz, Uraufführung: Berlin 1821

             

 

Anlaß:

 

Aufführung in der Komischen Oper am 18.7.2006. Ich sah die Inszenierung zum zweiten Mal, zunächst 2000. Damals gefiel sie mir nicht (ich notierte: Konsequent gegen Text und Musik gebürstet – nicht falsch, aber, wie ich vorgestern feststellen durfte, doch recht borniert).

 

Oh, das ist ein anderes Libretto als Schikaneders abgeschmackte Zauberflöte!

 

Friedrich Kind, Rechtsanwalt und Mitherausgeber der Dresdener Abendzeitung, liefert ein historisches / historisierendes Drama, an dem man vieles erkennen, lernen und mitempfinden kann.

 

Aber erstmal: Die Figuren sind fast alle jede für sich ziemlich langweilig.

 

Ein geistig wie emotional etwas schlicht gestrickter Jägerbursche Max, maßvoll verliebt (wenn überhaupt), jedenfalls vor der Hochzeit mit einem ebenfalls sehr jungen, halbwegs naiven und abergläubischen, aber gut im Erbe stehenden Mädchen namens Agathe. Seine schlechten Nerven in den Wochen vor dem Großen Ereignis sind so überraschend eigentlich nicht. Auch an ihr ist nichts besonders auffällig oder interessant.

Ihr Vater Kuno sitzt in dritter Generation auf einer Teils zu bedingtem Erbeigentum, teils zu Nießbrauch überlassenen Försterei – eine spannungsgeladene und im Problemanriß sehr aktuelle Konstruktion, wie diverse Kommentatoren zu Recht anmerken. Auch er ist ansonsten ganz gewöhnlich.

 

Ein wenig mehr Farbe hat Anna, Agathes Freundin. Sie ist humorvoll, spritzig, tatendurstig und optimistisch – und komischerweise allein, kein Mann in Sicht. Fast möchte man angesichts des sonstigen Personals sagen: Kein Wunder, überqualifiziert.

 

(Eine kleine Epizykle: Die Frauenszenen zwischen Agathe und Anna zeichnen sich dadurch aus, dass es nichts zu tun gibt. Die Mädels sitzen herum und schwatzen über dies und das. Außer dem Auspacken des Hochzeitskranzes – mit einmaligem Erscheinen zahlreicher Brautjungfern, alle Sopran - passiert in ihren Auftritten gar nichts. Das ist eigentlich sehr unplausibel. Sie sollten in Organisationsarbeit ersticken: Der Polterabend, die Hochzeit am nächsten Tag, die Gäste, die Ablaufplanung... wie es wohl wirken würde, würde man die Inszenierung entsprechend anlegen? )

 

Bleiben der Fürst, dieser begnadete Schnellrichter vor dem Herrn, und der so zeitgünstig präsente Klausner. Ersterer kommt zum Jagdausflug vorbei und nimmt anschließend an der Hochzeitsfeier teil, zu deren Formular der berühmte Probeschuß gehört. Über den Probeschuß, dessen Schwierigkeit er frei bestimmen kann, steuert er einmal pro Generation Weitergabe oder Erledigung des Kuno – Erbes.

Seltsam genug: Versucht es ein Sohn des Lehnsmanns, ist die Sache jedenfalls für diesen mit einem Fehlschuß erledigt. Eine Tochter dagegen kann mehrere Kandidaten nacheinander heranführen, wenn sie bzw. die Familie das will. Wirklich, hübsches Konstrukt.

Damit hat der Fürst seine Rolle, und das war’s an Charakterisierung dann auch. Der Eremit macht den versöhnenden Deus ex Machina, eine bemerkenswert sympathische Rollenzuweisung an einen Kleriker in Zeiten finsterster Reaktion – aber er ist ja auch nicht Kirchen – Amtsträger, sondern Einsiedel, so wie man Kirche halt gerne hätte, ach wie hübsch. Eine „persönliche“ Ausgestaltung findet nicht statt (und ist auch vollständig entbehrlich).

 

Die mit Abstand interessanteste Figur ist Kaspar. Er ist alt – er hat im 30jährigen Krieg Magdeburg (1629) als Soldat mitgemacht, muß also um die 40 sein oder älter. Er ist als einziger in dieser Dorfgemeinschaft weit herumgekommen, trinkfest, voller Geschichten. Ihm wird gern und mit viel Schaudern zugehört, gerade weil er oft nicht „politisch korrekt“ ist. Die schwarzmagische Dimension seiner Geschichten ist für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts ganz charakteristisch, hier und nicht etwas im finsteren Mittelalter liegt die große Zeit der Hexenverfolgungen in Deutschland. Gelegentliche empörte Zurückweisungen durch die üblichen Moralin – Autoritäten gehören dazu und schaden nicht, im Gegenteil.

Zugleich ist das alles zwar schön schaurig, aber jetzt schon etwas überholt, nach dem Kriegsende 1648 bildet sich das rapide zurück. Der Zusammenstoß im Finale, bei dem Kaspar ja verliert, ist vom Libretto historisch gut angeordnet.

Es ist schade, dass die Regisseure durchweg nicht merken, wie sehr der Mann farbiger Teil des Dorflebens ist. Die Saufszene zwischen ihm und Max – sie ist ein fröhliches, ein feuchtfröhliches Gelage. Nehmen wir doch Maxens Einwendungen („Du wirst unverschämt“) als passende rhetorische Form - und nicht mehr. Max bleibt am Tisch, er trinkt ausgiebig mit Kaspar, endlich hat er jemanden gefunden, mit dem er bzw. der mit ihm über sein Problem redet, es geht beiden in ihrer Art gut dabei.

 

Auch diese Szene passt, wenn man sie nur wach liest und hört, in die absolut dominierende Grundstimmung der Oper: Gewollte und intensiv gelebte Fröhlichkeit. Es ist eine Nachkriegsoper. Seit 1815 erst ist der große europäische Krieg vorbei, der 1792 mit dem Angriff der Monarchien auf das revolutionäre Frankreich begonnen und sich durch Napoleon in einen langen Weltkrieg ausgeweitet hatte. Allen Gästen der Premiere sitzt das noch im Nacken, die meisten dürften Angehörige in diesem Krieg verloren haben, sei es in Russland sei es in der Schlußphase im Befreiungskrieg. Und auf der Bühne wird wann gespielt? Kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg. Eine Stimmung wie meine Eltern sie von 1946/47/48 erzählten: „Wir leben noch!“

Feiern mit selbstgebranntem Kartoffelschnaps, bei jeder Gelegenheit, ausgelassen, fröhlich, wild, intensiv – es gab zwar zu wenig zu Essen und riesige Alltagssorgen, aber zugleich eine berstende Lebens- und Überlebensfreude. Wer will, liest das auch in Kinds Libretto und hört diese Lebensfreude überall - überall! – in Webers Musik. Kein Wunder, dass die Oper so eine durchschlagender Erfolg wurde, sie traf genau diese - vielleicht auch nur latente ? - aktuelle Lebenshaltung !!

 

Ja und Samiel, die Höllenhund – Sprechrolle ? Klar, Weber wollte so richtig schwarze Magie und Teufelei auf der Bühne, das war ihm und Kind bitter ernst. Im Dresden dieser Jahre war ein gepflegter gutbürgerlicher „die –Natur – ist – voller – finsterer – Geheimnisse“ – Mystizismus absolut en vogue. Erfreuen wir uns mit etwas heiterem Abstand. Die Regie macht etwas schickes mit der Wolfschluchtszene:

 

Die Scharen der Hölle, „oh weh die wilde Jagd“ - es sind die besoffenen und lärmenden und tobenden Gäste des Polterabends! Oh ja, das passt so schlecht nicht. Und der Climax („sieben!“) ist ein seriöser Mann im dunklen Anzug, der Max einen großen Spiegel vorhält. Schnitt, Szenenwechsel, nächste Morgen: Er steht vor diesem Spiegel beim Ankleiden. Gut gemacht!

 

Aber Samiel? Charakteristisch für die Zeit nach dem 30jährigen Krieg war u.a. die jahrelange Mühsal, tatsächlich zum Frieden zu kommen. Die Gebietsübertragungen und Räumungen, die Bezahlung und Auflösung der unzähligen Söldnertruppenverbände, das Hineinfinden in die neuen Regeln des Westfälischen Friedens – das war alles schwer mit Konflikten und z.T. auch Kämpfen beladen, und es dauerte Jahre, bis die Zeitgenossen sicher waren, dass wenigstens der ganz große Krieg wirklich vorbei war.

Banden, Gruppen ehemaliger Soldaten zumeist, gab es ohne Ende. Lesen wir Samiel doch spaßeshalber mal als Chef einer solchen Bande und Max als Mitglied derselben, ein Mitglied, das nicht mit ihnen durchs Land streift, sondern es geschafft hat, sich mit Dispens der Gruppe an einem Ort niederzulassen, von dem aber dennoch Loyalität erwartet wird, und auch das gelegentliche Einwerben neuer Mitglieder. Klappt ganz gut, gell?

 

Vor allem aber: Heiterkeit !!! Feiern !! Fröhlich sein ! Diese Nachkriegsstimmung setzt sich selbst über Schreckliches hinweg. Auf dem Hochzeitsfest, auf dem scharenweise Jäger mit ihren Waffen herumlaufen, kommt es zu einem Todesfall durch einen Fehlschuß. Trotzdem: Die Feier wird nach einer Unterbrechung fortgesetzt, die Trauung und die Übertragung des Lehens werden vollzogen. Da muß man schon wirklich stimmungsfest sein.

 

Ob diese Hochzeit dem Brautpaar Glück gebracht haben wird, darf bekanntlich jeder für sich entscheiden.